Der andere Pflegenotstand

Lieber Peter König,

wie abgesprochen habe ich den Text 1:1 übernommen und habe auch die  Grammatikfehler mit übernommen damit der Text nicht verfälscht wird.

©Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16.05.2021

 

Bericht: Livia Gerster

 

Der andere Pflegenotstand

 

Die meisten Menschen werden nicht im Heim sondern zuhause gepflegt.

Doch was ist, wenn ihre Angehörigen nicht mehr können?

Ein Mann am Ende seiner Kräfte erzählt

 

Die unbeschwertesten Minuten sind die im Auto. Dann dreht Peter König AC/DC auf Rock or Bust und denkt an nichts. Es sind meist nur kurze Autofahrten durch Goslar, was einkaufen, was vom Amt holen. Kurze Auszeiten von der Pflege seiner Frau. „Das eigene Leben kann man vergessen. Man kann nicht mal eben in den Harz, bisschen wandern“, sagt König und lenkt den Wagen durch aufgeräumte Vorort.

 

Morgens um neun wecken, auf den Rücken drehen, den Körper aus dem Bett und in den Lifter heben. Duschen, umziehen, anziehen umsetzen. Das dauert vier Stunden und ist nur der Anfang vom Tag. König fürchtet, dass ihm langsam die Kraft ausgeht. „Ich bin kein junger Hüpfer mehr, die 65 kommt.“

 

Er trommelt auf dem Lenkrad. We play it fast and lose, brüllt es aus den Lautsprechern. Dann kehrt Peter König wieder zurück, zu Nicole, seiner Partnerin und seinem Kampf gegen die Barrieren dieser Welt.

Dieser Kampf beginnt schon nach dem Parken. Überall sieht König hohe Bordsteine, unüberwindbar für Rollstuhlfahrer, „Hallo, ich bin wieder da“ ruft er beim Aufschließen. In der Wohnung, einer alten Gaststätte, geht es gleich weiter mit den Hindernissen. An den Wänden hält wegen der Gipsverkleidung kein Griff, Seit drei Jahren suchen sie vergeblich nach einer besseren Wohnung. „Barrierefreier Wohnraum ist total vernachlässigt worden.“

Nicole Oelsner kommt auf Rädern mit großen, gelben Smileys drauf. An der Wand hängen Fotos ihrer und seiner Kinder aus den ersten Ehen. Hier, auf diesen hundertzwanzig Quadratmetern, verbringt Nicole Oelsnner ihr Leben. Draußen war sie schon lang nicht mehr. „Es ist jedes Mal ein Akt, das überlegt man sich dreimal“, sagt sie matt hinter ihrer FFP2- Maske. Jedes Wort scheint Kraft zu kosten.

 

Die Kaffeemaschine hinter dem Esstisch rumort. Der Physiotherapeut ist gerade gegangen. Sie haben die Muskeln im Oberkörper gedehnt, Fünfmal pro Woche machen sie das, was die Krankenkasse etwas viel findet, wie König sagt. Er wird laut: “Aber Menschen mit Handicap, die kosten halt Geld!“

Die Wände sind braun und orange, da, wo es zum Schlafzimmer geht. Prangt ein Sonnenuntergang mit Spruch: „Wer keinen Mut hat zum Träumen, hat auch keine Kraft zum Kämpfen.“ Das, sagt Nicole Oelsner, sei auf ihre Krankheit gemünzt, Multiple Sklerose, kurz MS, 17 Jahre ist es her, dass sie den Begriff zum ersten Mal hörte. Samstags – an die Wochentage erinnert sie sich genau – spielte ihr Sohn Fußball, als sie plötzlich alles doppelt sah. Donnerstags haben die Ärzte Entzündungen im Hirn entdeckt. Sie dachte, mit MS muss man ja nicht unbedingt im Rollstuhl sitzen. Und Peter König nickt: „Die Malu Dreyer ist ja auch noch gut zu Fuß!“

MS ist eine Krankheit, die in Schüben kommt, „unberechenbar“, sagt Oelsner. Sie erklärt es so: „Bei einem Kabelbrand geht der Strom auch nicht mehr durch!“ So sei es auch mit den Nervenbahnen. Der Kopf wolle, aber die Beine nicht. Wenn es plötzlich schlimmer werde, dann brauche der Körper Ruhe. Das schlimmste für Oelsner ist Hektik. Sie macht eine Pause, dann schaut sie zu König. „jetzt am Wochenende war auch wieder Hektik.“ König schweigt und schnauft.

Als die beiden sich kennenlernten, hatte sie schon die Diagnose. Aber war noch ziemlich fit. Sie fanden sich übers Internet, irgendeine Plattform, Jappy oder so, sie wissen es nicht mehr genau. „Man kriegt erst mit der Zeit mit, wie beschissen diese Krankheit ist“, sagt König. Als der Rollstuhl kam, änderte sich das alles. Ins Auto steigen, irgendwo hinfahren, das ging nicht mehr. Es klingt drastisch, wenn Nicole Oelsner sagt: „Mit dem Rolli hat das Leben aufgehört.“ Zu drastisch für König, der sofort einhakt: „Na das Leben hat ja nicht aufgehört, nur das Leben, wie man`s kennt!“

Dieses neue Leben, das Leben mit dem Rollstuhl, nennt König „das Planleben“. Mal eben ein Bier in der Kneipe trinken? Auf diese Frage gibt es nun eine ganze Reihe von Gegenfragen: Gibt es da einen ebenerdigen Eingang oder Rampe, sind die Türen breit genug?

Haben die eine Toilette, auf die Nicole gehen kann? Wann fährt ein Bus, der sich absenken kann?

Es werde immer nur an die Fußgänger gedacht, sagt König, jetzt ganz in seinem Element. Er ist einer der sich in die Arbeit stürzt, wenn er sich hilflos fühlt.

Wenn er merkt, dass die Welt nicht für Menschen wie seine Partnerin gemacht ist, dann will er diese Welt eben ändern. So entstand erst ein Verein, schließlich eine Gesellschaft, die pflegende Angehörige berät, Rampen und Lifter verleiht. Peter König kennt nicht nur Sigmar Gabriel, der hier in Goslar mit ihm zur Schule ging, er kennt auch alle Landräte und Sachbearbeiter in der Region, er ist vernetzt mit Aktivisten und betroffenen aus ganz Deutschland, Aus dem erschwerten Alltag mit eine MS-kranken Frau wurde für König eine Mission. Es gibt nur einen Haken: Seine Partnerin hat auf diesen Kampf gar keine Lust.

Als König von Bussen und Bordsteinen spricht, zuckt sie nur mit den Schultern. „Die Leute lernen das man damit leben muss“, sagt sie, als hätte sie mit diesen Leuten nichts zu tun, Die eigene Krankheit, so scheint es, reicht. Wozu sich den Kopf über die Probleme anderer zerbrechen? König wiederum treibt das zur Verzweiflung: „das ist doch blödsinn! Die Gesellschaft muss sich nur ein bisschen mehr an die Menschen anpassen! “Es wirkt wie ein Streit, den beide auswendig kennen, aber trotzdem nicht verhindern können“. Hektisch nestelt König an seiner Maske herum. „Ach so, ich wollte ja was holen.“ Nicole Oelsner nimmt seinen Abgang genauso ungerührt hin wie den Ausbruch zuvor.

Wäre es eine schlimme Vorstellung für sie, nicht mehr zu leben? Wieder zuckt sie mit den Schultern. <Einmal wr sie im Heim, erzählt sie, als ihr Mann isns Krankenhaus musste. Herzinfarkt. Wie die Leute da vor sich hinvegitiert haben, „ich fands grausig“. Als König wieder ins Wohnzimmer kommt, sind die roten Flecken auf seinem Gesicht verschwunden, aber seine Frau kann das nicht sehen, sie starrt in den aufgemalten Sonnenuntergang. „Nicole  sprach von der Hektik am Wochenende“, sagt König, jetzt in einem neuen aufgeräumten Ton. „Ja ich mache viele Sachen schnell und auf einmal. Ich kann da nicht aus meiner Haut. „Am Wochenende war es wieder so, Er wollte gern raus mit ihr, in die Sonne, aber dann dauert alles so lang, dass es sich nicht mehr lohnte. Da wurde er wütend. Und wenn er wütend wird, kriegt er immer Atemnot. „Belastungsasthma“, sagt er.

König denkt, dass ihnen ein wenig Abstand helfen würde. Damit er wieder Kraft sammeln und an seiner Aufgabe besser gerecht werden kann.  Aber das ist gar nicht so einfach zu organisieren. Letztes Mal, als er mit gepackten Koffern aufbrach, bekam er schon nach wenigen Stunden einen  Anruf. Die Pflegerin konnte Oelsner einfach nicht bewegen. Sie wusste nicht wie. Allso Urlaub abbrechen und zurück. König ärgert sich über die Agenturen, die diese Pflegerinnen vermitteln, ohne sie zu schulen. Wie immer, wenn Peter König ein Problem  sieht, geht er es an. In diesem Fall ist die Lösung gleich ein Millionenprojekt; ein Heim zur Kurzzeitpflege damit die Angehörigen mal eine Pause machen können.

Ein Gebäude und einen Investor gibt es schon, doch König verliert sich immer wieder im „Genehmigungsdschungel“, wie er sagt. Er ist jetzt wieder beim großen Ganzen: „Die Politik hilft uns einfach nicht.“ So kam es ihm auch schon zu Beginn der Pandemie vor, als sie keine sichern Masken bekamen. Und dann, als längst in den Heimen geimpft wurde, aber keiner an die Pflegebedürftigten zuhause dachte. Erst vor ein paar Wochen bekamen beide ihre erste Spritze.

König findet es ja gut, dass jetzt so viel über die Pfleger in den Kliniken gesprochen werde, aber was ist mit Leuten wie ihm? König war beim Bundesgrenzschutz, dann in der freien Wirtschaft, jetzt ist das hier sein Job. „Wieso gibt es kein Pflegegeld für pflegende Angehörige?“ fragt er. Die meisten werden nicht im heim gepflegt, drei Viertel aller Fälle. „Wenn man davon nur ein Teil wegbrechen, dann hätten wir einen  Pflegekollaps.“

Oelsner unterbricht die Erörterungen: „Hilfst du mir mal auf die Toilette?“ König springt auf, sie verschwinden im Bad. Nach ein paar Minuten kommt er zurück an den Tisch, mit einem Gerät, das klingeln wird, sobald sie ihn wieder braucht. Mit gedämpfter Stimme „Wenn man mit dem Patienten und dem Partner an einem Tisch sitzt, das ist schwierig, weil jeder hat seine eigene Sicht „Er hüstelt. Und kommt jetzt auf das Eigentliche zu sprechen, das, worunter er am meisten leidet. „Nicole hält alles für selbstverständlich.“ Ihm fehlt sein eigenes Leben, aber noch mehr fehlt ihm etwas anderes.

Früher, vor 10 Jahren, da habe sie gesagt: „Das ist so toll, dass du das alles machst.“ Aber die Frau von früher erkennt König schon lange nicht mehr. Sie sei wie abgekapselt immer in sich verkrochen. „Manchmal frage ich mich: was mach ich hier eigentlich? Aber dann denk ich: Du kannst ja kein Arsch sein und weggehen.“ Das Gerät vor ihm heult auf, spielt den Marsch der Zinnsoldaten, nicht gerade wie ein Orchester, eher wie eine Nintendo-Konsole. König eilt ins Bad, Wie haben sich die beiden verändert? Nicole Oelsner, jetzt wieder am Tisch, überlegt nicht lange: „Früher hab ich immer viel für andere gemacht, jetzt habe ich mir einen gewissen Egoismus angeeignet.“ Das ist zu viel für König. „Damit tut man doch anderen weh!“ Oelsner schweigt, schaut aus unbewegten Augen ins Nichts. Und König bleibt diesmal sitzen, seufzt.

Es ist nicht so, dass Nicole Oelsner aufgegeben hätte. Aber ihre Ziele sind andere als die ihres Partners. Sie beschränken sich auf die eigene Wohnung. Und fühlen sich trotzdem groß an. Wie zum Beispiel der Kuchen, den sie mal für ihre Söhne buk. Es dauerte lang und die Küche sah aus wie eine Sau. „Aber ich hab es geschafft“. Das sind Oelsners Erfolge. Und König? Er träumt von einem Erfolg, den alle Welt sieht, so wie den Protestmarsch eines Vaters der seinen schwerbehinderten Sohn vom Hamburg bis zum Brandenburger Tor schob. „Der eckt überall an und erreicht auch was, schwärmt König. Gerade baue er ein barrierefreies Boot. Seine Augen leuchten. König will auch nicht aufgeben. Seine Partnerin nicht und schon gar nicht sein großes Projekt, drüben im Hahnenklee. Dort sollen Menschen wie Nicole Oelsner sich wohlfühlen, während  Menschen wie er mal Zeit für sich bekommen. „Damit man zur Ruhe kommt und dann versucht, wieder ein paar Tage ein vernünftiger Mensch zu sein“, sagt er. „Bis es dann wieder von vorn los geht.“