Lage bei Inklusion „nicht entspannt“

Allen Bemühungen bei der Inklusion zum Trotz: Die Zahl der Kinder, die von der Regelschule auf eine Förderschule im Saarland wechselten, ist erneut leicht gestiegen.

 

 

Von Ute Kirch (Quelle Saarbrücker Zeitung vom 17.10.2019)

 

 

SAARBRÜCKEN Die Zahl der Schüler, die im Saarland zunächst eine Regelschule besucht haben, dann aber auf eine Förderschule gewechselt sind, ist im Schuljahr 2018/19 leicht gestiegen. Wie das Bildungsministerium auf SZ-Anfrage mitteilte, wechselten im vergangenen Schuljahr 559 Schüler auf eine Förderschule. Das sind 62 mehr als im Schuljahr 2017/18, in dem 497 Schüler wechselten. Im Schuljahr 2016/17 waren es 397 Kinder und Jugendliche. Umgekehrt wechselten im letzten Schuljahr 42 Schüler von einer Förderschule auf eine Regelschule.

 

Von den 559 Schülern wechselten 382 von einer Grundschule, 177 von einer weiterführenden Regelschule. Mit 236 Schülern (davon 139 Grundschüler) wechselten besonders viele auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt „Lernen“, gefolgt von 115 Schülern (davon 59 Grundschüler), die auf einer Förderschule für Emotionale und soziale Entwicklung wechselten. 75 Schüler (davon 73 Grundschüler) wechselten auf eine Förderschule mit Schwerpunkt „Sprache“, 71 Schüler (davon 58 Grundschüler) auf eine Förderschule „Geistige Entwicklung“. Geringer waren die Umschulungen beim Förderschwerpunkt „Körperliche und motorische Entwicklung mit 38 Umschulungen (32 Grundschüler), „Hören“ mit 17 Umschulungen (15 Grundschüler) und „Sehen“ mit sieben Umschulungen (sechs Grundschüler).

 

 

Seit 2015 gilt im Saarland die Inklusionsverordnung, durch die zunächst alle Kinder auf eine Regelschule gehen, sofern ihre Eltern nicht die Anmeldung auf einer Förderschule beantragen. In der Folge sollen die Regelschulen so ausgestattet werden, dass sie Kinder mit Förderbedarf aufnehmen und ihren Bedürfnissen entsprechend unterrichten können. Dennoch ist die Zahl der Schüler, die im Saarland eine Förderschule besuchen, leicht gestiegen. Besuchten im Schuljahr 2016/17 3165 Kinder eine Förderschule im Saarland, waren es 2017/18 3071 und im Vorjahr 3142. Im aktuellen Schuljahr sind es (Stichtag 28. August) 3280 Schüler.

 

Wie viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule besuchen, wird im Saarland bewusst nicht erfasst. Begründung des Bildungsministeriums: Inklusion setze voraus, keine „Etikettierung“ von Schülern nach Förderschwerpunkten vorzunehmen. Auch die neue Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) plane diesbezüglich keine Änderung der Inklusionsverordnung.

 

 

Im Vergleich zum Vorjahr besuchen also 138 Schüler mehr eine Förderschule. Durch den Anstieg mussten im Vergleich zum Vorjahr 13 neue Klassen gebildet werden. Dazu zählt das Ministerium auch zwei neue Sprachförderklassen, zwei Klassen an der neuen Förderschule in Saarbrücken-Altenkessel sowie eine Klasse an der neuen Förderschule in Weiskirchen-Rappweiler. Wie das Ministerium mitteilt, wurden dafür elf zusätzliche Stellen für ausgebildete Förderschullehrer geschaffen, hinzu kämen vier Stellen, die durch geringere Zuweisungen in die freiwillige Ganztagsschule frei geworden seien. „Es wurden keine Lehrkräfte aus den Regelschulen abgezogen“, betont das Ministerium.

 

 

„Die Zahlen belegen seit Jahren eine steigende Tendenz zum Wechsel auf die Förderschulen und das, obwohl es erklärtes Ziel und Wunsch der Politik ist, die Inklusion an Regelschulen zu stärken“, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (SLLV), Michaela Günther. Trotz Inklusionsverordnung sei der erwartete Schülerrückgang an Förderschulen nicht eingetreten. Eine Ursache dafür sieht sie in der aus Verbandssicht unzureichenden Personalisierung der Regelschulen mit Förderschullehrern. Auch fehlten die versprochenen multiprofessionellen Teams. „Dadurch gelingt Inklusion nicht so gut, wie sie eigentlich gelingen könnte“, sagt Günther. Die Förderschullehrer würden an den Förderschulen jedoch benötigt. „Der SLLV steht zu den Förderschulen“, betont Günther. Diese seien aus Sicht des SLLV „nicht die schlechtere Alternative“. Das Problem werde dadurch verschärft, dass es schlicht zu wenige Förderschullehrer gebe. Selbst wenn die Politik die benötigten Stellen schaffen würde, könnten diese nicht adäquat besetzt werden. An manchen Förderschulen unterrichteten daher auch – wie an Grundschulen – teils Lehrer anderer Schulformen, die nicht im Umgang mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgebildet seien.

 

 

„Die hohe Zahl der Schüler, die auf einer Förderschule „Lernen“ wechseln, überrascht mich“, sagt Günther, die selbst Förderschullehrerin ist. Diese gelten als vergleichsweise einfach zu inkludieren, da sie lediglich langsamer lernen.„Die Lage bei der Inklusion hat sich nicht entspannt“, stellt Günther fest. Noch immer riefen sie Kollegen an, die darüber klagten, unter den herrschenden Bedingungen dem einzelnen Kind nicht gerecht werden zu können. „Der große Aufschrei nach Einführung der Inklusionsverordnung ist etwas abgeebbt. Stattdessen hat sich Resignation breit gemacht.“ Nach wie vor fordere der SLLV, dass die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen festgestellt wird. Damit könnten Regelschulen am konkreten Bedarf orientiert Hilfen fordern.

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Martin (Donnerstag, 17 Oktober 2019 14:43)

    Die gesamte Lage der Inklusion "für alle", nicht nur für díe Schulen / SchülerInnen ist "nicht entspannt". Fragt man in Saarbrücken einen Bürger"wissen Sie was Inklusion bedeutet" erhält man nur ein Schulterzucken oder "da habe ich mal was davon gehört, weiß aber nicht was es ist".
    Weder bei der Landesregierung welche die "Inklusion" sogar durch Hausbanner bewirbt noch bei der Landeshauptstadt Saarbrücken merkt man "NULL" Interesse an der "ALLGEMEINEN" Inklusion nach der UN- BRK!
    Seit über 10 Jahren juckeln wir mit der Inklusion rum, ich bin gespannt wie der Staatenprüfung für Deutschland 2019/2020 der UN aussehen wird!

    Zitat aus Quelle:https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/monitoring-stelle-un-brk/staatenpruefung-2018-2020/

    Im nun anstehenden kombinierten zweiten und dritten Berichtszyklus muss Deutschland bis zum 1. Oktober 2019 unter besonderer Berücksichtigung dieser Empfehlungen über den Stand der Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen berichten und wird danach erneut vom Ausschuss überprüft und bewertet......

    Ich denke es wird erschütternd ausgehen!